John Gabriel Borkman
Entstehung
Ibsen schrieb 'John Gabriel Borkman' 1896 in Kristiania. Das Stück enthält teilweise Stoff, der Ibsen ein ganzes Menschenalter zuvor zu Ohren gekommen war. In den 50er Jahren wurde gegen einen höheren Offizier in Kristiania ein Verfahren wegen Betruges eingeleitet. Er wurde schuldig gesprochen und zu vier Jahren Gefängnishaft und Strafarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis isolierte er sich über Jahre hinweg völlig, er soll nicht einmal mit seiner Frau gesprochen haben. Ibsen erfuhr von dem Fall während seines ersten Aufenthalts in Kristiania (1850 - 51) und verfolgte das weitere Schicksal des Offiziers - soweit es an die Öffentlichkeit kam - während seines zweiten Aufenthalts in Kristiania (1857 - 64).
Eine andere, aktuellere Quelle der Inspiration für Ibsens Arbeit an 'John Gabriel Borkman' war Georg Brandes` monumentales Werk über Shakespeare, das Ibsen im Sommer 1896 las - jedenfalls Teile davon. Die Perspektive, die Brandes Skakespeare gegenüber einnahm, war stark durch Nietzsches Ideen beeinflusst. Zwei zentrale Begriffe der Nietzschen Philosophie, der Übermensch und der Wille zur Macht, spielen eine große Rolle in Ibsens Stück. Es ist nicht gewiss, ob Ibsen Texte von Nietzsche gelesen hat, unzweifelhaft hat er aber Texte über Nietzsche gelesen, unter anderem in Brandes` Werk.
Wir gehen davon aus, dass Ibsen irgendwann im Laufe des Jahres 1895 mit der Planung zu 'John Gabriel Borkman' begann. Mit der eigentlichen Niederschrift begann er aber erst im Sommer 1896.
Im Frühjahr hatte Georg Brandes Ibsen nach London eingeladen. In einem Brief vom 24. April 1896 schreibt Ibsen, dass er der Einladung nicht nachkommen kann, unter anderem aus folgendem Grund:
Außerdem bin ich mit Vorbereitungen zu einer neuen großen Arbeit beschäftigt, und die will ich nicht länger liegen lassen als notwendig. Mir könnte nämlich leicht ein Dachziegel auf den Kopf fallen, ehe ich Zeit finde, den letzten Vers zu vollenden (Wortspiel, mit dem im Norwegischen auch angedeutet wird: ehe es mit mir zu Ende geht). Und was dann?
Der erste Entwurf zu John Gabriel Borkman und die darauffolgende Überarbeitung tragen die folgenden Datumsangaben:
Erster Entwurf:
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Angefangen |
Beendet |
1. Akt |
11. Juli |
24. Juli |
2. Akt |
25. Juli |
10. August |
3. Akt |
11. August |
20. August |
4. Akt |
21. August |
26. August |
Überarbeitung:
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Angefangen |
Beendet |
1. Akt |
27. august |
15. September |
2. Akt |
16. september |
29. September |
3. Akt |
30. september |
10. Oktober |
4. Akt |
11. oktober |
18. Oktober |
Bereits am 20. Oktober 1896 schickte Ibsen das Manuskript in Reinschrift an seinen Verleger, Jakob Hegel. Er muss daher gleichzeitig an der Überarbeitung und an der Reinschrift gearbeitet haben.
Erstausgabe
Die Gyldendal-Ausgabe
'John Gabriel Borkman' erschien am 15. Dezember 1896 im Verlag Gyldendalske Boghandel (F. Hegel & Sohn) in Kopenhagen, Kristiania und Stockholm in einer Auflage von 12 000 Exemplaren - der bis dahin höchsten Auflage einer Erstausgabe eines Werkes von Ibsen. Die Auflage reichte jedoch nicht aus. Wegen der großen Anzahl von Vorbestellungen musste, noch bevor das Buch in den Handel kam, eine weitere Auflage von 3000 Exemplaren gedruckt werden. Die erste und die zweite Auflage, insgesamt 15 000 Exemplare, kamen also gleichzeitig heraus.
Das Buch wurde überwiegend gut aufgenommen.
Die Heinemann-Ausgabe und andere Ausgaben
Der englische Verleger William Heinemann verfuhr hier ebenso wie bei 'Hedda Gabler' (1890), 'Baumeister Solness' (1892) und 'Klein Eyolf' (1894) und veröffentlichte 'John Gabriel Borkman' in der Originalsprache in einer Mini-Auflage von 12 Exemplaren in London, um sich das Copyright daran zu sichern. Diese Ausgabe erschien am 12. Dezember 1986, also drei Tage vor der Gyldendal-Ausgabe.
Kurz nach der Originalausgabe erschienen auch Übersetzungen des Stückes in englischer, französischer, russischer und deutscher Sprache.
Uraufführung
'John Gabriel Borkman' wurde der Öffentlichkeit zuerst durch Lesungen vorgestellt. Die erste fand am 14. Dezember am Avenue Theatre in London statt und war von William Heinemann arrangiert. Dies war Teil der Strategie, die ihm das Copyright an dem Stück in England sichern sollte. Am Tag darauf, am 15. Dezember 1895, soll der Theaterregisseur P. A. Rosenberg eine Lesung in Kjøbenhavns Kommunelærerforening veranstaltet haben.
Die erste professionelle Aufführung von 'John Gabriel Borkman' fand am 10. Januar 1897 in Helsinki statt; es waren eigentlich zwei Aufführungen, die gleichzeitig Premiere hatten: eine am Svenska Teatern und eine am Finnischen Nationaltheater. Beide Aufführungen wurden vom Publikum wie von den Kritikern gut aufgenommen.
Andere Aufführungen im Januar:
- Frankfurt am Main (16. Januar)
- Kjøbenhavns Arbejderes frie Theater, Kopenhagen (17. Januar)
- August Lindbergs Tournee, Drammens Theater (19. Januar)
- Christiania Theater, Kristiania (25. Januar)
- Vasateatern, Stockholm (25. Januar)
- Deutsches Theater, Berlin (29. Januar)
- Det Kongelige Theater, Kopenhagen (31. Januar)
Das Stück wurde Ibsens größter Erfolg am Theater seit Ein Puppenheim.
Geschrieben von: Jens-Morten Hanssen/ibsen.net