Baumeister Solness
Entstehung
Im Juli 1891 kehrte Ibsen nach 27 Jahren im Ausland nach Norwegen, nach Kristiania zurück. 'Baumeister Solness' wurde im Jahr darauf geschrieben, aber die Entstehungsgeschichte des Stückes beginnt in vieler Hinsicht im Sommer 1889 in Gossensaß, genauer gesagt mit der Begegnung mit der zu diesem Zeitpunkt 18-jährigen Emilie Bardach aus Wien. Im Februar 1891 besuchte Ibsen seinen Freund, den Literaturhistoriker Julius Elias, in Berlin. Dieser veröffentlichte später den folgenden Bericht über Ibsens Äußerungen während dieses Besuches:
"'Wissen Sie, mein nächstes Stück steht vor mir - natürlich in großen Umrissen. Aber etwas habe ich doch fest. Etwas Erlebtes; eine Frauenfigur. Etwas sehr Interessantes - sehr Interessantes. Eine Teufelei ist wieder mit.'
Und dann erzählte er, daß er vor Jahr und Tag in Tirol, wo sie mit ihrer Mutter war, eine junge Wienerin von merkwürdiger seelischer Dispositionen kennen gelernt habe. Die habe ihm gleich Bekenntnisse gemacht. Die Hauptsache: sie lege gar keinen Wert darauf, einmal einen wohlerzogenen jungen Mann zu heiraten, - sie werde gewiß gar nicht heiraten. Was sie locke und reize und befriedige, das sei, anderen Frauen ihre Männer wegzunehmen, - wenigstens den Mann von seiner Frau wegzulocken. Es sei eine kleine dämonische Zerstörerin gewesen; manchmal sei sie ihm wie ein Raubtierchen vorgekommen, das sich auch ihn als Beute ausersehen hätte. Er habe sie studiert, sehr genau, ganz in der Nähe. Aber sonst habe sie nicht viel Glück mit ihm gehabt.
`Sie nahm mich nicht, aber ich nahm sie für eine Dictung. Sie hat (hier kicherte er wieder) sich dann wohl mit einem andern getröstet.`"
Emilie Bardach inspirierte Ibsen folglich zur Figur der Hilde Wangel. Man nimmt an, dass Bardach hier weit "teuflischer" und berechnender dargestellt wird, als sie sich je gegenüber Ibsen verhalten hat. Möglicherweise passt die Beschreibung eher auf die Gestalt der Hilde Wangel als auf Emilie Bardach.
Nach dem Besuch in Berlin im Februar 1991 muss Ibsen - getreu seiner Gewohnheit - noch ein Jahr über den Stoff nachgesonnen haben. Am 16. März 1892 schrieb er das folgende Gedicht, das bei der Erstveröffentlichung in 'Samlede værker' ('Gesammelte Werke', 1899) als "Erste Vorarbeit zu Baumeister Solness" bezeichnet wurde:
Sie saßen, die beiden, im traulichen Haus,
Sahn Herbst und Winter vergehn.
Das Haus ist verbrannt. Rings Schutt und Graus.
Nun gilt`s, in der Asche zu spähn.
Denn unter dem Schutt ist ein Kleinod versteckt,
Das nie geht im Feuer zugrund;
Und suchen sie emsig, vielleicht
daß entdeckt von ihm oder ihr wird der Fund.
Die fänden die beiden, verarmt durch den Brand,
auch wieder das köstliche Stück -
Sie findet nicht mehr das Vertraun, das entschwand,
Noch er das vernichtete Glück.
Das Gedicht berührt die Thematik von 'Baumeister Solness'. Ibsen hatte auch mehrmals zuvor in frühen Phasen der Planung zu einem neuen Schauspiel Gedichte geschrieben, die dieselbe Funktion hatten, die die Thematik konzentriert zusammenfassten.
Andere Vorstudien zu Baumeister Solness sind nicht erhalten. Ibsen soll die Vorstudien, den ersten Entwurf und möglicherweise auch den zweiten Entwurf zu dem Stück im Frühjahr oder Sommer 1892 vernichtet haben. Eine weitere Quelle der Erkenntnis über die Entstehung des Stückes ist ebenfalls verloren, der Briefwechsel
Hildur Andersen
mit der Pianistin Hildur Andersen, die vom August 1891 an viele Jahre hindurch Ibsens vertraute Freundin w ar. Seine Beziehung zu ihr erinnert an die Beziehungen, die er zu Emilie Bardach und Helene Raff unterhielt.
Im Februar 1892 reiste Hildur Andersen für ein halbes Jahr nach Wien, um zu studieren. In diesem Zeitraum schrieben sie einander eine Reihe von Briefen, in denen sie auf die Arbeit an 'Baumeister Solness' eingingen, aber diese Briefe sind nicht erhalten.
Am 9. August 1892 begann Ibsen die Arbeit an 'Baumeister Solness' in seiner endgültigen Form. Dieses Manuskript ist erhalten und trägt die folgenden Datumsangaben:
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Angefangen |
Beendet |
1. Akt |
9. August |
20. August |
2. Akt |
23. August |
6. September |
3. Akt |
7. September |
19. September |
Die Reinschrift wurde dann im Laufe des Septembers und Oktobers 1892 fertiggestellt.
Erstausgabe
Die Gyldendal-Ausgabe
'Baumeister Solness' erschien im Verlag Gyldendalske Boghandel (F. Hegel & Sohn) in Kristiania am 12. Dezember und in Kopenhagen am 14. Dezember 1892 in einer Auflage von 10 000 Exemplaren.
Das Stück wurde unterschiedlich aufgenommen, aber alles in allem positiver als die vorhergehenden Stücke.
Die Heinemann-Ausgabe
Der englische Verleger William Heinemann verfuhr ebenso wie bei 'Hedda Gabler' und gab 'Baumeister Solness' in einer Mini-Auflage von 12 Exemplaren heraus, um sich das Copyright daran zu sichern. Dies geschah am 6. Dezember 1892.
Uraufführung
'Baumeister Solness' wurde der Öffentlichkeit zum ersten Mal durch eine Lesung im Theatre Royal am Haymarket in London vorgestellt - auf Norwegisch. Dies fand am 7. Dezember 1892 statt - fünf Tage vor Erscheinung des Stückes in Kristiania und Kopenhagen - und war ein Teil von William Heinemanns Strategie, um sich das Copyright zu sichern (siehe oben).
Zum ersten Mal professionell aufgeführt wurde das Stück am 19. Januar 1893 am Lessing-Theater in Berlin mit Emanuel Reicher als Regisseur und Inhaber der Titelrolle.
Geschrieben von: Jens-Morten Hanssen/ibsen.net