Frau Inger auf Östrot
Entstehung
Es ist nicht bekannt, wann Ibsen mit der Arbeit an 'Frau Inger auf Östrot', oder 'Frau Inger auf Österaad', wie der ursprüngliche Titel lautete, begann. Es wurde in seiner Zeit als Regisseur (mit Verantwortung für das Bühnenbild) und Dramaturg am Det norske Theater in Bergen geschrieben. Um den 1. Oktober 1854 herum überreichte er das fertige Manuskript Peter Blytt, dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates des Theaters. In seinem Buch 'Minder fra den første norske scene i Bergen i 1850-aarene' ('Erinnerungen von der ersten norwegischen Bühne in Bergen zwischen 1850 und 1859') schreibt Peter Blytt:
"Nach einigen einleitenden, etwas konfusen Worten überreichte er mir ein Buch mit der Erklärung, es sei das Manuskript eines Freundes aus Christiania, ein historisches Drama oder auch eine Tragödie, die der betreffende Verfasser, der ungenannt bleiben wolle, gern am Theater in Bergen aufgeführt sehen würde, falls man sich zur Annahme entschließen könne. Aber bevor er - Ibsen - sie dem Vorstand übergäbe, möchte er, daß ich das Stück erst läse und ihm meine Ansicht darüber erkläre."
Der Grund dafür, dass Ibsen es vermied sich zu seiner Autorenschaft zu bekennen, ist leicht zu erraten. Seine eigenen Inszenierungen von 'Johannisnacht' 1853 und 'Das Hünengrab' 1854 waren beide zum Fiasko geraten. Mit seinem Selbstvertrauen stand es nicht zum Besten.
Im Zusammenhang mit der Arbeit an 'Frau Inger auf Östrot' war Ibsen gezwungen, sich mit historischem Quellenmaterial zu beschäftigen. Unter den Historikern jener Zeit bestand ein gewisses Interesse für die Geschichte der Dänisch-Norwegischen-Union. Man vermutet, dass zwei Veröffentlichungen von dänischen Historikern eine besondere Rolle bei der Entstehung von Ibsens Stück gespielt haben, Caspar Paludan-Müllers Grevens feide: skildret efter trykte og utrykte kilder ('Des Grafen Fehde: geschildert nach gedruckten und unveröffentlichten Quellen'), erschienen in zwei Bänden 1853/54 und der erste Band von 'Samlinger til det Norske Folks Sprog og Historie' ('Sammlungen zur Sprache und Geschichte des norwegischen Volkes'), der 1833 erschien. Ersteres Werk erwähnt Ingerd Ottisdatters Bemühungen, 1527 - 28 die Norweger zu einem Aufstand zur Selbstständigkeit zu mobilisieren. Das letztgenannte Werk enthält eine Sammlung von Briefen aus den Jahren 1525 - 29, gesammelt und redigert von Professor Gr. F. Lundh.
Ibsen hat den historischen Stoff freilich sehr frei bearbeitet. Als er das Stück 1874 überarbeitete, um es erneut zu veröffentlichen, bat er seinen Freund, den Historiker Ludvig Daae, sich zur Verwendung der historischen Quellen in der älteren Ausgabe zu äußern. Daae kam zu dem Schluss, dass das Stück ausgesprochen unhistorisch sei.
Uraufführung
Peter Blytt zeigte sich von dem Manuskript, dass Ibsen ihm überreicht hatte, begeistert. Und im Verwaltungsrat am Det norske Theater bestand Einigkeit darüber, dass sich das Stück für die geplante Festvorstellung am 2. Januar 1855 eignete, mit der das Theater sein 5-jähriges Jubileum begehen würde.
Kurz vor der Premiere enthüllte sich Ibsen - unfreiwillig - als der Autor des Stückes. Eine Anekdote erzählt, dass er während einer Probe aus den Kulissen gestürzt kam, Jacob Prom, den Schauspieler, der Niels Lykke spielte, in einer seiner längeren Repliken unterbrach, und sie so vortrug, wie sie seiner Meinung nach vorgetragen werden sollte. Dies tat Ibsen, ohne in das Soufflierbuch zu sehen, und auf eine solche Weise, dass bei den Anwesenden kein Zweifel bestehen konnte, dass er der Verfasser war. Ibsen bestand dennoch darauf, dass sein Name weder auf den Plakaten stehen noch in den Voranzeigen genannt werden sollte.
Wie geplant wurde 'Frau Inger auf Östrot' am 2. Januar am Det norske Theater gezeigt. Auch diese Aufführung wurde kein Erfolg. Das Interesse des Publikums blieb hinter den Erwartungen weit zurück. Das Stück wurde nur zwei Mal gespielt.
Erstausgabe
Es vergingen einige Jahre, bevor 'Frau Inger auf Östrot' veröffentlicht wurde. Zum Jahreswechsel 1856/57 schickte Ibsen das Manuskript an den Buchhändler Chr. Tønsberg, der im März 1856 'Das Fest auf Solhaug' herausgegeben hatte, aber er erhielt eine höfliche Ablehnung.
Am 17. April 1857 schreibt er an seinen Freund Paul Botten-Hansen, den Redakteur der literarischen Wochenzeitschrift Illustreret Nyhedsblad:
"Da mir ganz besonders daran liegt, diese meine beste Arbeit zu veröffentlichen, möchte ich dich hiermit bitten, Dich der Sache anzunehmen und für mich zu tun, was Du kannst. Das Stück liegt bei Tønsberg, lies es durch und - verschaffe mir einen Verleger! Die Bedingungen spielen keine Rolle - auf Honorar will ich gern verzichten, wenn das Stück nur im Druck erscheint."
Botten-Hansen schlug vor, das Stück im Feuilleton des Illustreret Nyhedsblad zu veröffentlichen. Ibsen hatte keine Einwände dagegen. Das Stück wurde im Zeitraum vom 31. Mai bis zum 23. August 1857, über fünf Ausgaben verteilt, in der Wochenzeitschrift abgedruckt.
Der Eigentümer des Illustreret Nyhedsblad, der Buchdrucker H. J. Jensen, veröffentlichte im November des selben Jahres einen Sonderdruck des Stückes. Die Auflage war niedrig, und lag vermutlich bei nur 250 Exemplaren.
Zweite Auflage
Im Frühjahr und im Sommer 1874 arbeitete Ibsen das Stück um. 'Frau Inger auf Österaad' wurde 'Frau Inger auf Östrot'. Verleger war nun Frederik Hegel vom Verlag Gyldendalske Boghandel in Kopenhagen. Diese Ausgabe erschien mit einer Auflage von 4000 Exemplaren im November 1874.
Geschrieben von: Jens-Morten Hanssen/ibsen.net