Die Frau vom Meer
Entstehung
'Die Frau vom Meer' wurde 1888 in München geschrieben. Der älteste erhaltene Entwurf ist vom 5. Juni 1888 datiert, aber wie gewöhnlich hatte Ibsen da schon längere Zeit über den Stoff nachgesonnen. Einige Elemente stammen von dem Aufenthalt in Molde im Sommer 1885. Man geht nicht nur davon aus, dass Molde für die "kleine Fjordstadt des nördlichen Norwegens" Pate gestanden hat, Ibsen soll während seines Aufenthalts auch zwei Sagen gehört haben, die ihn beeindruckten, und die in dem Stück verarbeitete. Die eine handelt von einem eingewanderten Finnen, der allein mit der seinen Augen innewohnenden magischen Kraft eine Pfarrersfrau von Mann und Heim fortgelockt hat; die andere von einem Seemann, der so lange von zu Hause weggewesen war, dass die Leute glaubten er sei tot, der aber plötzlich wieder auftauchte und seine Frau mit einem anderen verheiratet vorfand.
1886 schrieb Ibsen 'Rosmersholm'. Im Sommer nach dem Erscheinen dieses Stückes war er in Nordjütland in Dänemark. Er verbrachte eineinhalb Monate, von Mitte Juli bis Ende August 1887, in Säby an der Ostküste der Halbinsel. Dort sammelte er Stoff, ließ sich zu 'Die Frau vom Meer' inspirieren und genoss - nicht zuletzt - die Nähe des offenen Meeres.
Dem Meer war von Anfang eine zentrale Rolle im Stück zugedacht. In den ersten Aufzeichnungen zu dem Stück, die vom 5. Juni 1888 stammen, schreibt Ibsen:
"Die Anziehungskraft des Meeres. Die Sehnsucht nach dem Meer. Die Menschen sind verwandt mit dem Meer. Möchten dorthin zurück. Eine Fischart bildet ein Urglied in der Entwicklungsreihe. Finden sich noch Rudimente im menschlichen Gemüt? Im Gemüt einzelner Menschen?
Bilder vom pulsierenden Leben im Meer und vom «ewig Verlorenen».
Das Meer beherrscht die Macht der Stimmungen, eine Macht, die wie ein Wille wirkt. Das Meer kann hypnotisieren. Die Natur überhaupt kann es. Das große Geheimnis ist die Abhängigkeit des menschlichen Willens vom «Willenlosen». Sie ist draußen vom Meer gekommen, wo der Pfarrhof ihres Vaters lag. Wuchs auf da draußen - am freien, offenen Meer. Verlobte sich heimlich mit dem leichtsinnigen, jungen Steuermann - dem ausgewiesenen Seekadetten -, der wegen einer Havarie den Winter über mit seinem Schiff im Hafen lag. Mußte auf Wunsch des Vaters die Verbindung lösen ... "
Die erste vollständige Bearbeitung trägt den Titel "Seejungfrau" und ist mit den folgenden Datumsangaben versehen:
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Angefangen |
Beendet |
1. Akt |
10. Juni |
16. Juni |
2. Akt |
21. Juni |
28. Juni |
3. Akt |
2. Juli |
7. Juli |
4. Akt |
12. Juli |
22. Juli |
5. Akt |
24. Juli |
31. Juli |
Danach nahm Ibsen eine Vielzahl von Änderungen, Streichungen und Ergänzungen, vor. Aus den Datumsangaben im Manuskript des ersten Entwurfs geht hervor, dass der zweite Akt in neuer Gestalt am 18. August fertig gestellt war. Zwei Tage später begann Ibsen mit dem dritten Akt, und am 31. August begann er mit dem vierten Akt. Wir wissen nicht genau, wann der Entwurf fertig und die Arbeit an der Reinschrift begonnen wurde, aber das fertige Manu skript in Reinschrift wurde am 25. September 1888 von München an Jakob Hegel abgeschickt.
Erstausgabe
'Die Frau vom Meer' erschien am 28. November 1888 im Verlag Gyldendalske Boghandel (F. Hegel & Sohn) in Kopenhagen und Kristiania in einer Auflage von 10 000 Exemplaren. Am 27. Dezember 1887 starb Frederik Hegel, Ibsens Freund und Verleger seit 22 Jahren. Sein Sohn Jacob Hegel stand bereit, den Verlag zu übernehmen und wurde so der Verleger von 'Die Frau vom Meer'.
Das Buch wurde unterschiedlich aufgenommen. Allgemein wurde es positiver beurteilt als das vorhergegangene Stück, 'Rosmersholm', wohl hauptsächlich wegen des optimistischen Endes. Die Einzigen, die ungeteilte Begeisterung bekundeten, waren allerdings Edvard Brandes in der dänischen Tageszeitung Politiken und J. A. Runström in der schwedischen Zeitung Ny Illustrerad Tidning.
Nach der Uraufführung wurde das Stück am Det Kongelige Teater in Kopenhagen (Premiere am 17. Februar), am Finnischen Nationaltheater in Helsinki (Premiere am 22. Februar) und am Kungliga Dramatiska Teatern in Stockholm (Premiere im März) aufgeführt.
Geschrieben von: Jens-Morten Hanssen/ibsen.net